Welt, 31.07.2004
Nicht mal ein eigenes Bett
Nicht mal ein eigenes BettHans Glöggler hat ein Imperium besessen, 12 000 Angestellte in 20 Firmen. Dann floh er. Zehn Jahre lang Der Mann, der einer der erfolgreichsten Industriekapitäne Deutschklands war, dessen Unternehmensgruppe 12 000 Angestellte beschäftigte und eine Milliarde Mark Umsatz erzielte - das in den 60-er Jahren! - , dieser Mann, der schließlich alles verlor, der zehn Jahre lang auf den Fahndungslisten von Interpol stand, dieser Mann sagte nach allem: "Ich trauere im Leben nichts nach". Die Summe des Daseins und den Wert der Dinge brachte Johann Nepomuk Glöggler, fast ein ganzes Jahrzehnt lang "Hans im Glück" gehießen, in eine neue Ordnung: "Für mich", sagte er, "ist heute die Persönlichkeitsfindung viel wichtiger." Da war Glöggler, der in der Textilbranche ein ganz Großer war und im Baugeschäft rund ein Drittel der Philipp Holzmann AG besaß, zum Literaten geworden: Ein autobiographisches Buch mit dem Titel "Die Flucht", dazu 20 Novellen mit Titeln wie "Der alte Mann und das Meer" oder "Der Jäger". Den erleichterndsten Augenblick seines Lebens erlebte Glöggler in einem kleinen französischen Fischerdorf beim Studium einer sehr kurzen Nachricht. Die Staatsanwaltschaft München I, las Glöggler im Dezember 1985, habe das Verfahren gegen ihn wegen betrügerischen Bankrotts eingestellt, das Delikt sei verjährt. Glögglers zehnjährige Flucht war zu Ende. Wenige Tage darauf empfing er in einer Tiroler Pension Journalisten. Sie fanden einen sichtlich gealterten Mann vor, herz- und augenleidend, der sein Leben erzählte, sein Leben nach der Flucht und offenbar ein Leben, das keins gewesen war. Er sei über Quebec nach Toronto nach Appenzell nach Nyon am Genfer See, schließlich nach La Tourballe an die französische Atlantikküste geflüchtet. Er sei bald völlig mittellos gewesen, zuerst das Auto weg, wenig später habe er nicht einmal ein eigenes Bett besessen. Die 1200 Mark im Monat, die ihm seine Kinder hätten zukommen lassen, seien bei bei angepassten Bedürfnissen auskömmlich gewesen. Glögglers Karriere ist lange Zeit glänzend gewesen, solide, nicht im mindesten abenteuerlich. Er galt als einer der erfolgreichsten Unternehmer der Nachkriegsgeschichte. Zu Beginn ein junger Industriekaufmann, der in Augsburg zwei Baustoffhandlungen eröffnet, mit schönem Gewinn - die betreibt er über 20 Jahre lang. Dann steigt er 1969 ins Textilgeschäft ein, er kauft Webereien, Spinnereien, es sind namhafte, renommierte Betriebe. Innerhalb weniger Jahre brachte Glöggler mit seiner Holding ein respektables Imperium zusammen, Bau- und Textilbranche. Die Zukäufe finanzierte Glöggler über Kredite, für die er andere zugekaufte Firmen als Sicherheit anbot. Das ging sieben Jahre gut. Ende 1975 dann geriet das tönern begründete Kreditgebäude Glögglers ins Wanken, ein Jahr später stürzte es. Das bayerische Wirtschaftsministerium zwang Glöggler zu einem Sanierungskonzept, das den Verlust und die Auflösung des Konzerns vorsah. Glöggler, mit tausenden aufgebrachten Arbeitern vor der Tür, trat seine Flucht an. Glöggler war drei Mal verheiratet, er hat neun Kinder. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er bei seiner Familie in Hopfen am See bei Füssen. Seine Klage gegen die Bayerische Landesregierung auf Schadenersatz von 1,2 Milliarden Mark wies ein Gericht 1990 als chancenlos zurück. Johann Nepumuk Glöggler, Industrieller, starb 94-jährig am 26. Juli. Artikel erschienen am Sa, 31. Juli 2004 |
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